Ein kalter Kuss berührt mein Herz. Mich fröstelt. Nachdenklich schließe ich die Augen. Eigentlich sollte ich glücklich sein. Er. Die große Liebe meines Lebens. Er steht vor mir. Er umarmt mich. Er küsst mich. Er. Doch meine Gedanken entfernen sich immer wieder und jonglieren mit den mentalen Wertungsschemata, die mein Empfinden erzeugt. Diese Kälte, die seine Lippen ausstrahlen. Es irritiert mich. Entschlossen verschließe ich meine Lippen. Es irritiert ihn. Langsam verschließt auch er seine Lippen und schaut mich an. Schöne dunkle Augen starren mich an und forschen in der Tiefe meines Blickes nach einer Antwort. Ich reagiere nicht! Sanft berührt nun die Kälte seines Blickes mein Herz. Ein kalter Windhauch erfasst meine Seele. Ich erstarre. Ich fühle nichts. Infiziert durch seine Kälte werde auch ich starr.
Ich liebe den Teufel. Dies waren gestern seine letzten Worte gewesen, nach einem Meer brandender Leidenschaften. Ein männliches Wesen, das den Teufel liebt. Ich ahne, auf welchem Fundament diese Aussage beruht. Mentale Prozesse erfassen meinen Geist. Der Teufel ist die Gegengestalt zum Engel. Ohne Teufel gibt es keine Hölle und ohne Hölle keinen Himmel. Die Welt besteht doch nur aus Gegensatzpaaren. Warum empfinde ich Kälte? Dies ist nur möglich, weil Wärme existiert. Meine Gedanken entfernen sich immer weiter von der aktuellen Empfindung. Ich flüchte mich in eine Ursachenforschung. Er. Er verschwindet aus meinem Bewusstsein. Er versinkt im Nebel der inneren Distanz. Ich verharre stehend, denkend, forschend. Warum bewerte ich die Kälte negativ und die Wärme positiv? Der Nebel unbewiesener Erkenntnisse ergreift mich. Dies ist von der Situation abhängig. Oder doch mehr Prägung des Über-Ichs? Gelernte Empfindungen? Meine Gedanken schlingen sich weiter durch das Meer an Erklärungen. Ist es heiß, freue ich mich über kühle, schattige Oasen und spüre gerne Kaltes.
Was für eine Alltagsphilosophie hat mich plötzlich ergriffen! Ist sein kalter Kuss der Ausdruck seines inneren, feurigen Begehrens, um den Pfeil des innewohnenden Amors in glühender Leidenschaft zu halten? Sein Innen und Außen kommen nicht zum Gleichklang einer gemeinsamen Wellenlänge! Innerlich glühe ich vor beginnender, mich überall erfassender Leidenschaft und dieser Kuss kühlt meine innere Glut ab. Nein! Er soll nur äußerlich wirken. Ist es wirklich so? Ich will es wissen. Zitternd nehme ich seine Hand. Tief blicke ich in seine Augen, schließe meine Augen und berühre mit meinen Lippen sinnlich tastend seinen Mund. Fühlen. Brennen. Ich zucke zusammen. Ein jäher, kalter Blitz trifft meine Lippen, durchbohrend mein Herz. Ein Stachel bohrt sich in meine Seele. Liebster, du brichst mich. Du pflückst die Blume der beginnenden Liebe in mir mit der Kraft deiner Kälte. Mich fröstelt. Der Teufel in ihm sollte doch mit dem Feuer der Hölle verbunden werden. Niemals liebt er den Teufel. Keine Glut der Hölle ist in ihm. Er liebt die Engel, die mit ihren weißen und schneeähnlichen Gewändern, die so durchsichtig wie das klare Eis eines ruhigen, zugefrorenen Bergsees sind, umherfliegen und manche Menschen glauben machen, sie seien von Gott auserwählt. Die Engel sind die eigentlich kalten Wesen, die rein mental agieren, keine Gefühle besitzen, nur das objektive Sprachrohr eines nicht beweisbaren Gottes sind. Reine Illusion! Also sind die Engel Wesen der mentalen Kälte und einer inneren Fantasiewelt! Die Engel sind mental kalt und der Teufel ist sinnlich heiß. Er. Er ist ein Teufel innen. Doch verborgen und begraben. Ein Gestern und kein Heute. Er ist ein Engel außen. Sein Eigenbild. Der engelhafte Mann. So ist unser sinnlicher Austausch der Lippen engelhaft. Mental kalt. Nur Illusion von Empfindungen.
Was für ein Labyrinth an mentalen Prozessen. Ich halte schaudernd in meinem mentalen Denkpalast inne. Was passiert mit mir? Sein Kuss ist rein mental gesteuert. Fröstelnd verlassen meine Lippen seine Lippen. Ein Mann, der innendrin teuflisch, aber im Tun außen engelhaft ist, der rein mental, mechanisch gesteuert ist. Er soll die Liebe meines Lebens sein? Meine Illusion! Ich wende mich ab und gehe langsam, Schritt für Schritt, den Stachel der Kälte in mir spürend, die Uferpromenade entlang. Ich fühle mich meiner glühenden Hitze beraubt. Meine innere Leidenschaft ist gebrochen. Ich spüre nur noch Kälte. Seine Kälte, die mich infiziert hat. Doch muss ich nun gegen meinen eigenen Willen über meine Gedankengänge lächeln, die mir etwas infantil und auch abstrus erscheinen. Mentale Assoziationen, gefangen in einem Labyrinth ohne Erkenntnis.
Er geht langsam hinter mir. Ich spüre in meinem Rücken die kalte Aura seiner äußeren Erscheinung. Ein großer, aufrechter, schlanker Mann mit tiefschwarzem, leicht gelocktem Haar, eingehüllt in weiße Nebelschwaden! Seine Augen umfassen prüfend meine Gestalt. Aufloderndes Begehren. Verborgen. Mental unterdrückt im engelhaften Sein seines Eigenbildes. Ich setze mit großer Achtsamkeit Schritt vor Schritt! Nun bleibe ich stehen. Ein Windhauch treibt eine blonde Locke frech in meine Stirn. Ich drehe mich um. Abschied sagen meine Augen. Kälte sagen seine Lippen.
Leidenschaft mental gebrochen.
Copy right 24.11.2014 Ramira del Orta
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